Bündelung statt Gleichschaltung

Johan Huizinga erfasst in seinen Ausführungen zu Amerika (München 2011; folgende Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf diese Ausgabe) die Effizienz als grundlegende US-amerikanische Geisteshaltung. Er versteht sie zunächst positiv, denn das US-amerikanische Denken ist vom ‚interest‘ gesteuert und strebt damit automatisch nach Verbesserung. Ich stimme grundsätzlich überein, dass dem Menschen ein ökonomischer Impuls, ein Austarieren von Aufwand und Effekt, natürlich ist. Hinzu tritt, dass er, um seine Umwelt besser zu verstehen, sie vereinfacht und vereinheitlicht. Alles andere würde die Kapazitäten des Menschen übersteigen.

Huizinga bemüht sich um Neutralität. Ihm geht es nicht um europäische chauvinistische Amerikakritik, sondern er beschreitet den Weg zwischen „Annahme und Verwerfung“ (S. 187) der US-amerikanischen ‚Kultur‘. Gerade seine neutrale Darstellung wirkt jedoch auf hypnotische Weise vernichtend kritisch. Schon 1926 stellt der Niederländer fest, dass Europa amerikanisiert wird. Ich habe vergessen, von wem ich die Aussage habe, wir müssten nur in die USA schauen, um zu erfahren, wie es bei uns in zehn Jahren aussieht. Wir machten nämlich alles nach, mit entsprechender Verzögerung. Mit Schrecken stelle ich fest, dass Huizinga bereits in den 1920ern etwas beschreibt, was inzwischen leider Normalität geworden ist.

Das leichtsprachige Stil des US-Journalismus wie auch die Lockerheit im wissenschaftlichen Ausdruck haben längst bei uns Einzug gehalten. Texte sprachlich attraktiver zu machen, ist kein Manko. Im Kampf um die Aufmerksamkeit verliert die Information häufig an Wert, ein „Wahlskandal gewinnt [z. Bsp.] eher den Anstrich einer fabelhaft gelungenen Finte als den eines heftig beklagten Verfalls.“ (S.198). Skandale wirken auch bei uns nicht selten als Nebensächlichkeiten aus der Sparte ‚Vermischtes‘, während eigentlich grundlegende Werte auf dem Spiel stehen. Die standardisierte Berichterstattung hat eine Abnutzung des Empörungsreflexes zur Folge.

Die im Zuge von Günter Grass‘ Gedicht Was gesagt werden muss aufgekommene Empörung über Vergleiche der deutschen Berichterstattung mit der Gleichschaltung der Presse unter den Nazis verstellt den Blick auf eine offenbar berechtigte Kritik. Zwar liegt keine politische Gleichausrichtung vor, nichtsdestoweniger erkenne ich in den Medien den Hang zur freiwilligen Unterwerfung. Die Journalisten beziehen ihre Informationen von denselben großen Agenturen. Das Bildmaterial ähnelt sich in Europa. Deutlich aufgefallen ist mir das während des Ossetien-Konflikt zwischen Russland und Georgien. In der französischen Presse fand ich dieselben Photos wie in der deutschen. Russland zeigte andere. Damit meine ich nicht wahrere, sondern lediglich andere. Wir betonen die Freiheit in unserer demokratischen Medienlandschaft, die sich aber eigenartigerweise nicht in der Vielfalt niederschlägt, die man erwarten könnte.

Im Geschacher um die Ukraine herrscht der Reflex vor, Russland als die diktatorische Großmacht eines vergangenen Jahrhunderts darzustellen. Die europäische Haltung ist nach wie vor von den Ressentiments des Kalten Krieges besetzt. Es gibt Reportagen, die die westliche Attitüde kritisieren, aber der Tenor speist sich aus dem Reflex, nicht aus der Reflexion.

Wiederholt fällt bei Huizinga das Wort ‚Bündelung‘, in dem ich Signifikanteres sehe als er. Im Gegensatz zur Kon-Zentration, bei der unterschiedliche Ströme zusammenfließen, um bestenfalls ein harmonisches Ganzes zu bilden, bleibt bei der Bündelung die Ver-Einheitlichung aus. Sie bedeutet (Zusammen)Raffung. Reisig wird gebündelt. Zweige werden zusammengeschnürt. Sie besitzen ungefähr dieselbe Länge und werden idealerweise gleich ausgerichtet. Denn Bündelung zielt auf Effizienz: Der Transport soll erleichtert werden. Im übertragenen Sinn sollen gebündelte Informationen überschaubarer gemacht werden. Überschaubarkeit gelingt durch besagte, natürliche Vereinfachung. Bei der Bündelung findet jedoch eine „Verengung des Gedankenfeldes“ (S.205) statt. Vieles wird auf Eines reduziert, ohne eine Einheit zu schaffen. Die Informationen werden lediglich eindimensional.

Diese Form wird trainiert. Das Inserat, der Slogan, die Zeitungsschlagzeilen sind die prototypischen Ausdrucksformen. Sie bedeutet Sprachgewicht auf kleinstem Raum. Es gibt eigens Profis für konzise Formulierungen, laut Huizinga gibt es sogar eine Ausbildung dafür. Im Kampf um die Aufmerksamkeit ist Prägnanz zwingend. (Mit dem englischen Wort ‚pregnant‘ (schwanger) im Hinterkopf erhält das deutsche Wort ‚prägnant‘ eine schöne Übersetzungsmöglichkeit: inhaltsschwanger.) Denn die Aufmerksamkeit untersteht längst dem Ökonomieprimat: „The art of writing is economy of attention.“ (H. Spencer, nach Huizinga, S.200)

 

24. März 2014