Tücken der Künstlichen Intelligenz

Künstliche Intelligenz, schreibt Rüdiger Safranski, sei keine Intelligenz, weil ihr die Dynamik des menschlichen Geistes, wie sie sich beispielsweise in Flexibilität und Lernvermögen niederschlägt, fehlt, was ein programmiertes Gerät nicht zu leisten vermag. Allerdings arbeiten Wissenschaftler an der Perfektibilität von Computern und Software. Die Künstliche Intelligenz erlebt aktuell eine Renaissance ihrer Verheißungen, nachdem Reportagen über die Vorhersagbarkeit menschlichen (Kauf)Verhaltens, über Übersetzungsprogramme und computergesteuerte Autos wieder die Aufmerksamkeit auf die Künstliche-Intelligenz-Forschung lenken.

Die Algorithmen zur verhältnismäßig präzisen Voraussage einer Kauf- oder Handlungsentscheidung dürfen hingegen nicht überschätzt werden. Ihnen liegen gesammelte Daten (Big Data) aus früheren Entscheidungen zugrunde, aus denen sie ein zukünftiges Verhalten extrapolieren. Dabei handelt es sich kaum um Intelligenz als vielmehr um starke Rechenleistung. Der Vorgang ist schematisch. Ein kluger Umgang mit Daten ist noch dem Menschen vorbehalten. Gesammelte Daten implizieren zunächst nichts; erst der Mensch schreibt ihnen Relevanz und Dringlichkeit zu. Er besitzt die Fähigkeit zur Selektion (wenn diese Fähigkeit wohl auch allmählich verloren zu gehen scheint). Die algorithmische Auswahl kann ihre Grenzen nicht überschreiten, während der Mensch seine Selektionskriterien umgehend ändern kann.

Problematisch ist das Auswählen auch noch bei Übersetzungssoftware. Die schlichte Zuordnung von Wort und Bedeutung scheitert an der Vielbedeutigkeit (Polysemie) des Vokabulars. Es funktioniert nicht, dass sich ein Computerprogramm in der lexikalischen Bandbreite für ein Wort entscheidet. Berücksichtigt werden müssen Kontext und Bedeutungsvielfalt, Angemessenheit (Sprachregister) und Verständlichkeit. Zusammenhang und Semantik lassen sich schon jetzt relativ einfach erfolgreich erkennen. Eine lernfähige Software, die sich nicht nur an grammatikalischen Grundlagen orientiert, kriegt sicherlich auch das Sprachniveau hin. Synchrone Übersetzungsprogramme leisten inzwischen schon „Reinigungsarbeit“, um störende „Ähs“ und „Ohs“ auszumerzen, die Sprache somit zu glätten. Wie ich dagegen sage würde: zu sterilisieren.

Menschliche Kommunikation besteht aus mehr als aus sinnvollen und verständlichen Spracheinheiten – auch oder sogar gerade in einer Fremdsprache. Ein Computerprogramm müsste Modulation, Lautstärke und Timbre einer Stimme berücksichtigen. Ebenso besteht menschliches Miteinander auch im Nicht-Gesagten, gerade auch im Falschgesagten, wovon der Freudsche Versprecher nur eine prominente Form ist. Doppeldeutigkeiten gehen häufig in Übersetzungen, angefertigt von Menschen, verloren; immerhin kann der Mensch jedoch nach Alternativen suchen, nach Spracherfahrung und Sprachgefühl entscheiden und eventuell nicht genau übersetzen, sondern idiomatisch übertragen. Dabei muss ein Bewusstsein über die Sprache, ihre Komplexität und Möglichkeiten bestehen. Eine computergesteuerte Übersetzung erkennt vermutlich noch nicht einmal ansatzweise eine Anspielung.

Selbststeuernde Autos sind sicherlich ein großes Versprechen, das in den nächsten Jahren eingelöst werden wird. Diese Entwicklung würde das Automobil auf seine wahre Bedeutung zurückführen. Eine Fahrt zu genießen ohne sich auf den Verkehr konzentrieren zu müssen wie in einem Zug, ohne die jedoch seine Privatsphäre teilen zu müssen, klingt verheißungsvoll.

Diesen Fortschritt mit dem Verweis auf die kapitalistische Ausbeutungsmentalität zu diskreditieren, weil die Autofahrten kaum mehr genossen würden, sondern zu vollkommen Ausnutzung für die Arbeit, zum Beispiel um noch einen Vortrag fertigzustellen oder eine Akte, noch bevor man im Büro ankommt, zu studieren, ist ein unhaltbarer bzw. zu unspezifischer Vorwurf, um ihn gelten zu lassen. Schwerer wiegt hingegen die Anfälligkeit von komplexer Technologie Im Straßenverkehr können Fehlleistung ebenso tödlich sein wie menschliches Versagen. Bei der Technik lassen sich aber keine mildernden Umstände geltend machen, weil die Unvollkommenheit des Menschen bekannt ist. Wenn der Mensch verantwortungsvolle Aufgaben an Maschinen delegiert, dann müssen sie sie hundertprozentig erfüllen können (s. a. ethische Entscheidungen ZEIT).

Es ist ein Problem des Menschen, wie sehr er sich auf die Technologie einlässt und sich von ihr bestimmen lässt. Nichtsdestoweniger verführt sie ihn auch, sodass eine Unterwerfung häufig unmerklich erfolgt. Der Mensch ist von Natur aus anpassungsfähig; technische Geräte arbeiten starr. Wo Pfade vorgegeben sind, muss sich der Mensch beugen, er kann seinen Apparaten nicht seinen Willen aufzwingen. Mit einem Gerät erwirbt er vorgegebene Systeme und Programme. Die Werbung suggeriert zwar Erleichterung und Freiheit, gerade weil sich viele Geräte individualisieren lassen. Aber nicht jeder profitiert von diesen Möglichkeiten, weil sie kosten. Entweder nimmt man den zeit- und kostenintensiven Weg, seine Wünsche zu erfüllen und bezahlt ein individuell zugeschnittenes Gerät; oder man geht den einfacheren – und das meist ohne Bewusstsein dafür – Weg, indem man sich seinem Gerät anpasst. Schließlich ist der Mensch fähig, sich seiner Umwelt und darin seinen Alltagsgegenständen anzupassen. Deshalb nehmen wir täglich unbewusst Umwege in Kauf, wo die Werbung persönlichen Zuschnitt verspricht.

Darin liegt für mich eine gewisse Kränkung, weil ich mich einer Maschine anpassen muss. Diese Kränkung kann sogar weiter gehen: Autofahren, ohne selbst steuern zu müssen, ist schön; Autofahren, ohne selbst steuern zu können, ist Entmündigung.

 

7. – 9.  März 2015